„Ein Sportler ohne Spiele ist wie ein Künstler ohne Leinwand“

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Fast genau ein Jahr ist es her, dass die Zweitligawasserballer des Schwimmverein Cannstatt ihr letztes Ligaspiel absolvierten. Seitdem geht es auf und ab: Mal ist der Trainingsbetrieb erlaubt, mal nicht. Meistens sind Spiele tabu, hin und wieder können sie aber unter strengen Hygieneauflagen stattfinden. Für die Mannschaft sei das eine nervliche Zerreißprobe, sagt SVC-Kapitän Lennart Löscher. Im Gespräch blickt er zurück auf ein Jahr ohne Ligaspiele, die Chance auf den Titel und kleine Momente der Hoffnung.

Lennart, jetzt ist es schon mehr als ein Jahr her, dass der SV Cannstatt sein letztes
Pflichtspiel absolviert hat. Kannst du dich noch an deinen letzten Einsatz im Wasser
erinnern?

Sehr gut sogar. Zuletzt haben wir in der Münchener Olympiahalle gastiert, das war eine ganz besondere Ehre. Das Spiel selbst war nicht einfach, erst nach dem Seitenwechsel ist es uns gelungen, die Bayern niederzuringen. Der Sieg hat noch einmal gezeigt, wie berechtigt unsere Medaillenhoffnungen waren.

Doch dann kam alles anders…
Zwei Wochen später folgte der Lockdown, der im Wasserball bis heute andauert. Hättest du das für möglich gehalten?

Nein. Anfangs haben wir darauf gehofft, nach vier Wochen einfach weitermachen zu können. Irgendwann war eine neue Saison ab September oder Oktober aber die einzige Hoffnung, die übrig blieb.

Doch auch im Herbst blieben die Becken leer.
Genau. Dieses ewige Warten ist ganz schön zermürbend.

Dadurch, dass der SV Cannstatt in der zweiten Bundesliga spielt, ist zumindest der Trainingsbetrieb wieder erlaubt. Muss das angesichts der Infektionszahlen wirklich sein?
Ich sehe die Sache nicht ganz so kritisch: Die Regierung vertraut uns Sportlern, dass wir mit dieser Chance verantwortungsvoll umgehen. Beim Schwimmverein Cannstatt werden wir diesem Anspruch gerecht. Wir halten uns an die Regeln, haben ausgeklügelte Hygienekonzepte und trainieren möglichst kontaktfrei.

Wie sehr vermisst du den Wettkampf?
Ein Sportler ohne Spiele ist wie ein Künstler ohne Leinwand. Es ist schön, wieder trainieren zu können und die Jungs regelmäßig zu sehen. Am Ende leben und leiden wir aber für die Spiele. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr mir der Ligabetrieb fehlt.

Was geht in einem Jahr ohne Spielpraxis am schnellsten verloren?
Das ist der gewisse Biss, den man im Wettkampf einfach braucht. Im Training lassen sich zwar technische Feinheiten einstudieren, aber den letzten Meter zum Ziel legst du erst zurück, wenn es drauf ankommt. Auch die Konzentrationsfähigkeit schwindet. Im Training hat es keine unmittelbaren Konsequenzen, wenn ich mal fünf Sekunden nicht aufpasse. Im Spiel kann das den Sieg kosten.

Andere Sportarten haben kürzere Runden gespielt oder kleine Turniere veranstaltet.
Warum gab es das im Wasserball nicht?

Das größte Problem vieler Vereine sind die Bäder. Da haben oftmals die Städte das Sagen, und die lassen ihre Einrichtungen aktuell noch aus gutem Grund geschlossen. Als SV Cannstatt sind wir mit unserem vereinseigenen Mombachbad im Vorteil.

Welche Rolle, glaubst du, spielt der Verband?
Auf Landesebene brauchen gewisse Entscheidungsprozesse einfach ihre Zeit, das ist in einem größtenteils ehrenamtlich geführten Verband nicht zu vermeiden. Vergangene Woche haben der Schwimmverband Württemberg und der Badische Schwimmverband allerdings eine gemeinsame Zoomkonferenz veranstaltet, in der über das weitere Vorgehen informiert wurde. Das fand ich eine gute Idee.

Was hast du aus der Versammlung mitnehmen können?
Mich hat beeindruckt, wie fest verwurzelt die Wasserball-Community im Südwesten ist. An der Konferenz haben über 80 Vereinsvertreter teilgenommen, alle waren interessiert und haben sich um einen konstruktiven Austausch bemüht. Aus den Vorträgen nehme ich vor allem neue Übungsformen mit, die das Training unter Pandemiebedingungen spannender machen.

Und wie ist die Stimmung bei den anderen Vereinen?
Viele Mannschaften haben seit einem Jahr kein einziges Mal zusammen trainiert, weil sie keine Wasserfläche auftreiben konnten. Das tut einem in der Seele weh. Gleichzeitig führt es mir vor Augen, in was für einer luxuriösen Position wir uns mit dem Mombachbad befinden. Allein schon das wir trainieren dürfen, ist ein großes Privileg.

Was für eine Öffnungsstrategie würdest du dir für den Wasserball in Baden-Württemberg
wünschen?

Für ganz Sportdeutschland würde ich mir wünschen, dass die Regierung mehr Vertrauen in die Vereine hat. Sport spielt in allen Gesellschaftsschichten eine wichtige Rolle, er hält uns körperlich und mental fit. Meine Hoffnung ist, dass wir es mit mehr Schnelltests künftig schaffen, alle Athleten ein- oder zweimal in der Woche durchzutesten.

Als die Zweite Liga ausgesetzt wurde, war der SV Cannstatt ungeschlagen Tabellenerster.
Greift die Mannschaft ganz vorne an, wenn es wieder losgeht?

Definitiv. Vor Corona sind wir mit dem Ziel angetreten, eine Medaille zu gewinnen. Trotz des Lockdowns konnten wir uns jetzt ein weiteres Mal personell verstärken. Der Blick geht in Richtung Meistertitel.

Und danach folgt ihr dem Ruf in die erste Liga?
In einer Sportart wie Wasserball ist das nicht nur eine sportliche, sondern vor allem auch eine wirtschaftliche Frage. Da sieht es bei uns nicht schlecht aus: Trotz der gesamtwirtschaftlich schwierigen Lage konnten wir neulich wieder zwei Partner gewinnen. Das Netzwerk wächst, und mit ihm auch unsere Lust auf die Bundesliga.

Die Fragen stellte Felix Heck.

Zur Person: Lennart Löscher
Lennart Löscher, Jahrgang 1995, ist ein Cannstatter Urgestein: Seit 2004 spielt der Sohn eines Wasserballers für den SV Cannstatt, sechs Jahre später rückte er in die Herrenmannschaft auf. Das Team führt Löscher mittlerweile als Kapitän an. Außerhalb des Beckens geht er für den SVC auf Sponsorensuche und verantwortet den Webauftritt seines Heimatvereins.